Angenommen, die musikalische Analyse wird als eigenständige Disziplin angesehen, wie es allein durch die Existenz des Europäischen Kongresses musikalischer Analyse und die dort versammelten Wissenschaftler suggeriert wird, kann diese Disziplin dann als autonom verstanden werden? Zuallererst unterhält die musikalische Analyse Beziehungen zur Musikwissenschaft, die sie veranschaulichen soll, sowohl vom wissenschaftlichen als auch vom institutionellen Standpunkt aus. Inwieweit entspricht sie noch dem von Adler 1885 definierten Zweig der „Systematischen Musikwissenschaft“? Die musikalische Analyse besitzt auch eine lange Tradition des interdisziplinären Dialogs mit den verschiedenen Disziplinen, ausgehend sowohl von den Humanwissenschaften als auch von den sogenannten Exakten Wissenschaften. Was aber ist nun der Einfluss dieser Wissenschaften und ihrer Entwicklung auf die musikalische Analyse selbst?
Da die musikalische Analyse regelmäßig mit der Musiktheorie in Verbindung gebracht wird, sollte man die Funktion dieser im Zentrum des Prozesses und der analytischen Praktiken klären. Ist sie die Bedingung sine qua non der wissenschaftlichen Annäherung an das musikalische Phänomen?
Oder spiegelt die Konfrontation von Theorie – Analyse eher die kulturellen als die erkenntnistheoretischen Unterschiede wider, die sich in einer gewissen Anzahl von nationalen „Traditionen“ oder an geografische und linguistische Bereiche gebundene zeigen? Zeigen solche Divergenzen nicht eine gewisse Form von Unreife und unwissenschaftlichem Status der Disziplin? Steht die Fragmentierung der Analyse in einer mehr und mehr unvereinbaren Vorgehensweise, begleitet von sprachlichen Unverständlichkeiten und gegensätzlichen Interessen, nicht dem wahren Forschungsgeist konträr gegenüber?